Einhundert Affen - Teil 2
… Überlebensstrategien für den Ökologischen Kollaps
Das Kleiner-Mensch-Syndrom
Unsere Generation leidet an der gefährlichen Unfähigkeit, zu realisieren, dass wir unser Ökosystem im großen Maßstab, mit hohem Tempo und nachhaltig an die Wand fahren. Weder bewerten wir die Situation korrekt, noch halten wir diese Erkenntnis fest im Blick oder sprechen ihr im Alltag die angemessene oberste Priorität zu. Weder ziehen wir konsequent die richtigen Schlüsse, noch lassen wir diesen Schlüssen handfeste Taten folgen.
Ursächlich hierfür ist etwas, was ich als Kleiner-Mensch-Syndrom bezeichne - ein Komplex psychischer Auffälligkeiten, in dem sich Verdrängungsmechanismen, das lähmende Gefühl des „Ich kann nicht“, kleingeistige Ignoranz, Fatalismus und schlichte Bequemlichkeit die Hand reichen. Dieses Syndrom betrifft uns alle, von der einfachen Frau der Straße bis hin zum hochdekorierten Regierungsbeamten und ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass es eins der größten gesellschaftsprägende Merkmale unseres postindustriellen Zeitalters ist.
Dieses Syndrom ist integraler Bestandteil unseres Selbsterlebens. Kennen wir doch alle die lichten Momenten, in denen uns ins Bewusstsein drängt, dass wir unser Lebensumfeld gerade gemeinschaftlich zerstören - gefolgt vom unmittelbaren mentalen Wiedereinschlafen nach diesem Erkenntnisblitz.
Dieser Verdrängungsprozess geschieht aufgrund des tiefen Dilemmas, in dem wir uns befinden. Wir nehmen die Dynamik der Zerstörung wahr, wir wissen um sie und haben doch keinen Ansatz, wie wir etwas an der Gesamtsituation ändern können. In unserer Selbstwahrnehmung sind wir einfach zu klein, haben zu wenig Verständnis und Überblick, nicht genug Ideen, zu wenig Power und Gleichgesinnte, um die großen Probleme der Welt zu lösen.
Dilemma - wir wollen aber wir können nicht. Und wir wollen schon so lange und können nicht - unerträgliches Gefühl unserer Zeit. Und da wir von diesem Gefühl schnell wieder wegwollen, läuft es eben darauf hinaus, wieder zum Alltag zurückzukehren, alltägliche Gedanken zu denken, alltägliche Probleme zu wälzen. Ein ganz einfacher psychologischer Trick, der uns hilft, überhaupt klarzukommen. Bis zum nächsten Mal.
Uns ist der Mechanismus des Wegschauens so zur zweiten Natur geworden, dass wir ihn als gegeben erachten, als Teil unseres Selbst. Er ist Folge von Jahrzehnten des Konsums, der Ablenkung und der Zerstreuung als Ersatz für echtes Sein. Er ist ebenso Folge der Mainstream Medien, die sich ihrer Verantwortung gegenüber unser aller geistigen Gesundheit nicht stellen und unserem eigenen unreflektierten Abwandern in die sozialen Netzwerk-Pseudo-Lebensblasen.
Und durchs Wegschauen entgeht uns so einiges. Während ein großer Teil der Menschheit der Entwicklungsländer täglich ums Überleben kämpft, geht es uns Menschen der ersten Welt scheinbar besser als je zuvor - mit einem lebensbedrohlichen Haken: wir leben seit Jahrzehnten auf Pump, verbrauchen bereits heute mehr, als uns anderthalb Erden bereitstellen könnten. Der Energieverbrauch sinkt nicht etwa, wie es eigentlich der Erhalt des Ökosystem erfordert, nein, er steigt von Jahr zu Jahr stetig und parallel mit ihm die Temperatur der Atmosphäre.
Zum Kleiner-Mensch-Syndrom gehört auch, dass wir wirklich nicht können. Wir alle haben Verpflichtungen, Kinder müssen versorgt, das Überleben gesichert, die Arbeit muss getan, ein Leben gelebt werden. Vielleicht ist das so! Oder vielleicht glauben wir auch nur, dass es nicht anders geht.
Manchmal sind es schlichte Ignoranz, Bequemlichkeit und Gewohnheiten, die wir nicht aufgeben möchten. Wir sind unseren Luxus gewohnt, bemerken ihn kaum noch - Dankbarkeit für unsere Privilegien - weit gefehlt. Der dekadenten Gesellschaft, der es zu gut geht, fehlt der Anreiz - ohne Schmerz kein Umdenken. Solang es uns nicht kollektiv um die Ohren fliegt, besteht keine Notwendigkeit aufzuwachen. Ein Verhaltensmuster so alt wie die Menschheit - nur rennt uns dieses Mal die Zeit davon.
Zuletzt endet der Abstieg des kleinen Menschs im Fatalismus - gefährliche und destruktive Gedanken und Gefühle als Zeichen der Ohnmacht und der Scham darüber, nichts getan zu haben. Können wir doch bereits heute sehen, wohin der Weg uns führt. Es birgt diese Flucht in die Selbstaufgabe am Ende sogar noch einen gewissen Trost: in 1.000 Jahren kräht kein Hahn mehr nach uns und unserem Versagen.
Letzten Endes läuft es darauf hinaus: Wir brauchen dringend einen veränderten Umgang mit den von uns verinnerlichten Mechanismen des Wegschauens. Möglichkeiten und Wege, wie man ihnen begegnen und sie in eine konstruktive Form wandeln kann sind erforderlich und werden im Abschnitt „Reprogrammierung“ aufgegriffen.
Führungsversagen
Auch wenn ich die Selbstbestimmtheit und Freiheit des Menschen als extrem hohes Gut erachte, stellt sich mir die Frage, ob unser Selbsterhaltungstrieb, die Vernunft und die Verständnisfähigkeit des Einzelnen allein ausreichen, um das sich anbahnende ökologische Desaster abzuwenden. Haben wir noch genug Zeit, um jedem Individuum zu ermöglichen, eigene Schlüsse zu ziehen und selbstbestimmt die Entscheidungen für die Umwelt und eine lebenswerte Zukunft zu treffen?
So gern ich diese Fragen mit Ja beantworten möchte und so sehr ich an die ureigene Souveränität des Menschen glaube, so sehr bin ich der Überzeugung, dass wir in der gegenwärtigen Lage eine gut aufgestellte Führung benötigen. Eine Führung, die klare Entscheidungen fällt und mit der notwendigen Konsequenz durchsetzt, um die Krise in den Griff zu bekommen, bevor sie sich zur handfesten Katastrophe auswächst.
Von einer solchen Führung darf verlangt werden, dass sie erkennt, welche Weichen gestellt werden müssen und dass sie den Mumm besitzt, unbequeme Wahrheiten zu thematisieren, unpopuläre Entscheidungen zu treffen und auch gegen Widerstände durchzusetzen. Sie trägt die Verantwortung gegenüber den Menschen, von denen sie ihr Mandat erhält und sie steht ihnen gegenüber in der Verpflichtung, dieser Verantwortung mit aller Sorgfalt, auf dem Boden der Vernunft und zum Wohle der Gemeinschaft nachzukommen.
Erfüllt sie diesen Auftrag, verdient sie zurecht Respekt und Anerkennung und vielleicht sogar besondere Privilegien innerhalb einer Gemeinschaft. In Anbetracht der Bedrohungslage muss jedoch die grundlegende Frage gestellt werden, ob und bis zu welchem Grad unsere gegenwärtige politische Elite mit all ihren Verbändelungen in Wirtschaft, Finanzsektor und Industrie unsere Interessen und die Interessen des Ökosystems überhaupt vertreten kann oder ob sie nicht doch in erster Linie den Interessen der Ökonomie und ihrer Lobbygruppen folgt.
Die Abwehr des Szenarios Ökokollaps stellt uns alle vor massive Einschnitte, längst überfällige Umbrüche und zwingend notwendige Veränderungen, wenn wir es ernst meinen. Niemand darf erwarten, dass man weiterleben können wird wie bisher. Dies ist wohl der Grund, warum sich jede Führungskaste vor der Wahrheit und der erforderlichen Veränderung wegduckt. Mit unbequemen Wahrheiten und unpopulären Ideen gewinnt man keine Wahl.
Ein Blick auf die Ergebnisse der Klimagipfel, die Entwicklung die Risikoberichte und wissenschaftlichen Prognosen zeigt indes eindrücklich, wohin wir steuern. Auch wenn wir uns bewegen, bewegen wir uns doch alles in allem viel zu langsam. Nationale, wirtschaftliche und innenpolitische Interessen verhindern die Einigung und die Umsetzung erforderlicher Schritte. Die verantwortlichen Instanzen scheitern im großen Maßstab im Lichte einer Öffentlichkeit, die kein wirkliches Interesse zeigt.
Doch wo ist der globale Aufschrei der Massen ob dieses unser aller Leben bedrohenden Versagens? Wo ist die erforderliche Graswurzelbewegung, die auf die Straße drängt und einfordert, was eigentlich selbstverständlich sein sollte? Wir sehen hier noch ein anderes Versagen, dass Versagen von uns allen, das Versagen von uns, die wir im Kleiner-Mensch-Syndrom gefangen sind.
Ich komme zu dem Schluss, dass wir eine Bewegung der Massen und eine konsequente ökopolitische Führung benötigen, die mit ausreichend Mandat und Ressourcen ausgestattet ist, um die erforderlichen Veränderungsprozesse einzuleiten und durchzusetzen. Einige Überlegungen zu diesem Weg finden sich im Abschnitt „Das Diktat der Notwendigkeit und Vernunft“.
Der Systemfehler
Auf dem Marktplatz der globalen Wirtschaft werden tagtäglich Entscheidungen getroffen, die nicht auf das Gemeinwohl und die Interessen unseres Ökosystems abzielen, sondern auf den Gewinn von Wenigen. Unsere Wirtschaftssysteme fördern dies, folgen sie doch mit wenigen Ausnahmen den Doktrinen von Neoliberalismus, Privatisierung und einer vorrangigen Ausrichtung auf ökonomische Interessen.
In unserer globalisierten Wirtschaft regieren die Interessen des Kapitals und der alles dominierende Fokus liegt auf Wertschöpfung und Gewinnmaximierung. Geld ist Macht, mehr Geld ist mehr Macht - eine einfach Gleichung. Wer beides besitzt, besitzt automatisch auch die Mittel, Einfluss zu nehmen, politisch zu steuern, zu infiltrieren und zu manipulieren.
Und das dies geschieht, tagtäglich, im Kleinen wie im Großen, ist für jeden erkennbar, der sehen möchte. Die Zerstörung der Biodiversität als Kollateralschaden des Einsatzes von Herbiziden und genetisch verändertem Saatgut ist dank hervorragend funktionierender Lobbyarbeit im vollen Gange.[i] Im großen Stil zerstören global aufgestellte Konzerne jährlich Millionen Hektar an Regenwald für Plantagen, Massentierhaltung und Rohstoffabbau.[ii] Mineralölriesen verdienen Milliarden mit unser aller Ressourcen und hintertreiben aktiv jegliche Bestrebungen, die das notwendige Ende des fossilen Zeitalters anmahnen.
Hintenan stehen der Schutz von bedrohten Arten, unser aller Ressourcen und Rohstoffe, existenziell bedeutsamen Klimazielen, Sozialität und Humanismus. Die urkapitalistische Idee von Adam Smith, dass der Erfolgreiche freiwillig seinen Besitz zum Wohle aller einsetzt, entlarvt als Farce, wer einen Blick auf die Besitzverhältnisse in der Welt wirft. Ein Prozent der Menschheit bindet 99 Prozent des Kapitals, während 45 Prozent der Weltbevölkerung in absoluter Armut lebt.[iii]
Es widerstrebt mir, in Kategorien von Opfern und Tätern zu denken und doch scheint es mir, als ob jene, die die Weichen stellen und lenken, von Profitgier und Machthunger getrieben, den Großteil der Menschen, die Ressourcen der Erde und das Ökosystem in Geiselhaft genommen haben. Es sieht so aus, als ob das System des Kapitals, welches nichts als verbrannte Erde hinterlässt, Akteure fördert, aus deren Augen die dunkle Seite der Macht blickt und all jenen das optimale Milieu und ein Alibi bietet, die sich wenig um die Interessen der Gemeinschaft, sondern hauptsächlich um sich selbst und die eigenen Bedürfnisse kümmern.
Es gilt zu erkennen und bewusst im Auge zu behalten, dass der Kampf um den Erhalt der Ökosphäre aktiv von mächtigen Interessengruppen sabotiert und auch in Zukunft weiter hintertrieben werden wird. Sie verfolgen ihre eigenen Ziele rücksichtslos und mit allen verfügbaren Mitteln. Ihr Besitz beruht zum großen Teil auf einer krankhaften Mentalität des „ich bin mir selbst der nächste“ und der „nach mir die Sintflut“ Haltung und ihre Fülle an Macht fußt auf einem System, das diese psychopathischen Verhaltensweisen legitimiert und fördert.
Es gilt einen dem drohenden ökologischen Kollaps angemessenen Standpunkt zu beziehen. Das was da unter den Labeln Neoliberalismus, Freier Markt, Kapitalismus und Globalisierung betrieben wird, ist nicht länger zu akzeptieren. Es kann kein weiter so geben, wenn sich mit Selbstbedienungsmentalität an unseren Ressourcen vergriffen wird. Es ist nicht zu tolerieren, wenn unserer Umwelt aktiv oder durch Unterlassung weiterer Schaden zugefügt wird. An dieser Stelle sind wir alle gefragt, der Macht des einen Prozents kann nur Einigkeit entgegenstehen.
Zweiter Zwischenstand
Meine bisherige Betrachtung erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, auch wenn ich glaube, dass meine Einschätzung dem Kern der Sache nahe kommt. Bis hierhin sollte klar sein, dass ich im Zusammenhang mit dem ökologischen Kollaps nur auf einer sehr oberflächliche Ebene und in sehr begrenztem Maß auf den Erfolg von individuellen Survivalstrategien vertraue.
Jeder ernstgemeinte Ansatz muss sich auf einer kollektiven, globalen Ebene manifestieren und von der Weltgemeinschaft angestrengt und getragen werden. Im Folgenden werde ich daher auf kollektive Survival Strategien eingehen.
Dies vorangestellt, möchte ich meinen Apell dennoch in besonderem Maße an den Menschen des westlichen Kultur- und Wirtschaftskreises adressieren, wo jeder mit seinem gesunden Menschenverstand und seiner Menschlichkeit einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung des Status quo leisten kann.
Wir Bewohner der Industrienationen haben eine besondere Verpflichtung gegenüber Entwicklungs- und Schwellenländer. Nicht nur trägt der „weiße Mann“ eine historische Verantwortung gegenüber den ehemaligen Kolonien, die er bis zum heutigen Tage ausbeutet. Auch hat er unsere Welt in das Zeitalter des Raubtierkapitalismus geführt und seinen gesellschaftlich-wirtschaftlichen Stempel aufgedrückt.
Wir und die, die unserem Lebensstil nacheifern, sind diejenigen, die den höchsten Ausstoß an Treibhausgasen verantworten, unser ökologischer Fußabdruck ist unendlich größer, breiter und tiefer. Unser Rohstoffhunger ist unübertroffen in der Welt und wir holen uns, was wir für unseren Wohlstand brauchen, oft mit Gewalt.
Der Mensch des Westens sollte es vermeiden, mit dem Finger auf die Umweltsünden der Entwicklungs- und Schwellenländern zu verweisen. Wir sind jene, die vorangehen müssen und die Hand reichen. Wir sind es, die überhaupt wirtschaftlich dazu in der Lage sind. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, ganz gleich, wie die Anstrengungen von Afrika, Lateinamerika und Asien aussehen mögen.
[i] Monsanto, mit Gift und Genen, Dokumentarfilm 2008
[ii] www.abenteuer-regenwald.de/wissen/abholzung
[iii] Armut - hier und weltweit, Themenblätter im Unterricht Nr. 77, BPB