Einstieg

Unsere Zeit ist geprägt von Extremen und vom Umbruch. Innerhalb eines halben Jahrhunderts hat sich die Weltbevölkerung um vier Milliarden Menschen vermehrt und damit mehr als verdoppelt. Gleichzeitig sind wir die Zeitzeugen einer gigantischen technisch-digitalen Revolution, einer Revolution, die unsere Gesellschaft auf eine nie dagewesene Art verändert und jeden Aspekt unseres Lebens umkrempelt.

Über Jahrhunderte gewachsene gesellschaftliche Strukturen und Wertebilder kollidieren in Hochgeschwindigkeit mit der Beliebigkeit und Konsumorientiertheit der Neuzeit. Im Internet verschmelzen Fakten mit Alternativwahrheiten und sorgfältig platzierten Fake-News zu einem Konglomerat der irrelevanten Eventualitäten und die allgegenwärtige digitale Parallelwelt macht uns in einem Umfang erreichbar und anfällig für Manipulationen, wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte.

Im Zuge der Urbanisierung verlassen wir unsere traditionellen Lebensräume und tauschen die Anbindung an die Natur gegen die Komplexität und Anonymität von Megametropolen. Wir kehren den Strukturen von Großfamilien den Rücken zu Gunsten von Individualismus und vereinsamen. Wir sind globaler und globalisierter geworden, in unserer Kommunikation, unserem Selbstverständnis, wir sind gleichzeitig näher zusammengerückt und doch unendlich weiter entfernt voneinander, als jemals zuvor. Isolation und Abgeschnittensein von der Gemeinschaft ist das große Thema der Menschen unserer Zeit.

Uns stehen technische Entwicklungen zur Verfügung, die noch vor wenigen Jahrzehnten als Utopie oder harte Science-Fiction galten. Die Entwicklung künstlicher Intelligenz steht kurz vor dem Durchbruch, wir können Blinde mit Microchips zu Sehenden machen und die ersten geklonten Kinder wachsen heran. Alles in allem sind wir auf einem nie dagewesenen technischen Entwicklungsstand, der jedoch in den Händen einer Menschheit liegt, die sich, gemessen an ihrer Fähigkeit zum vernünftigen Handeln, in einem Stadium der Pubertät befindet.

Und auch wenn natürlich in jedem Extrem und Umbruch eine große Chance liegt, auch wenn technische und digitale Entwicklungen zum Guten der Menschheit und für unsere gemeinschaftlichen Zwecke eingesetzt werden können, auch wenn die globalisierte Welt und die Individualisierung des Einzelnen uns zum Segen gereichen kann, stehen wir doch an einem Punkt der Geschichte, an dem wir über unser weiteres Schicksal entscheiden.


Das Auge des Betrachters

Ich schaue aus den Augen einer Person, die sich hauptberuflich mit Gefahren und Risiken auseinandersetzt. Ich organisiere Survivaltrainings, bilde Trainer und Guides aus und bin als Sicherheitsberater für Firmen und Organisationen tätig, die weltweit in Risikogebieten im Einsatz sind. Es ist mir zur zweiten Natur geworden, Bedrohungen zu analysieren und Strategien zu entwickeln, um diese abzuwenden oder zumindest mit ihnen umzugehen.

In der Auseinandersetzung mit dem Thema urbane Krisen, Prepping und Katastrophenvorsorge tauchte für mich die ernsthafte Frage nach der Wirksamkeit präventiver individueller Strategien im Umfeld von globalen Bedrohungen auf. In dieser Zeit verfestigte sich in mir die Überzeugung, dass persönliche Vorsorge zwar durchaus ihren Platzt hat, größere Katastrophen oder Krisen jedoch nur von der Gemeinschaft abgewendet werden können. Dieser Artikel folgt dieser Überzeugung.

Weiterhin glaube ich, dass gerade in Zeiten von Krisen ein fester Wertekanon von Nöten ist, der als moralischer Kompass dient. Ich persönlich fühle mich zutiefst den Ideen der Vernunft und Menschlichkeit verpflichtet und jede Überlebensstrategie muss sich für mich an diesen Werten bemessen lassen. Die Haltung, dass der Zweck die Mittel heiligt, kann für mich in diesem Sinne stets nur die Ultima Ratio, den allerletzten Ausweg darstellen.

Nicht zuletzt bin ich der Überzeugung, dass man, wenn man einen Weg für sich erkannt hat, die Verpflichtung besitzt, diesen auch zu beschreiten. Eine gewisse Radikalität und Kompromisslosigkeit sind sicherlich von Vorteil, ebenso wie der Mut, aus der Herde auszuscheren, zu konfrontieren und unbequem zu sein und fest für seine Überzeugungen einzustehen. Es ist für mich persönlich nur konsequent und stimmig, die Bedrohung durch die Erderwärmung, die auf dem besten Weg ist, sich zu einem manifesten ökologischen Kollaps auszuwachsen, nicht länger auszublenden.

Mir ist im Zusammenhang mit dem Thema Klimaerwärmung durchaus bewusst, dass wissenschaftliche Unstimmigkeiten bestehen und längst nicht alle Fragen geklärt sind. Wie viele andere Diskussionen wird auch die Diskussion über die Ursachen und Folgen des Klimawandels hart geführt und um Deutungshoheit gerungen. Hintergründe, Absichten und Interessenlagen sind besonders für den Laien kaum nachzuvollziehen. Eine Internetrecherche zeigt die tiefe Spaltung in zwei Lager, die ihre Argumentationen mit wissenschaftlichen aber eben auch Mitteln der gezielten Desinformation führen.

Nichtsdestotrotz scheint es mir so, als ob zumindest unter den meisten ernsthaften Klimaforschern einigermaßen Einigkeit darüber besteht, dass der anthropogene Klimawandel tatsächlich und vor unser aller Augen stattfindet und ich folge hier deren Argumenten. Verlässt man sich auf ihre Einschätzungen, weisen die Indizien in eine katastrophale Richtung und aus Sicht der Risikoanalyse und -vermeidung muss dem drohenden ökologische Kollaps von uns allen oberste Priorität eingeräumt werden.


Positionsbestimmung

Die Meldungen, mit denen wir in den Medien konfrontiert sind - Klimaerwärmung, Naturkatastrophen, Überfischung, Insektensterben, Artenrückgang, schwindende Gletscher, Anstieg der Meeresspiegel, Treibhauseffekt - sind omnipräsent und alltäglich. Mannigfaltig sind auch unsere innerpsychischen Mechanismen, auf die wir zurückgreifen, um die Schlinge, die sich um unserem Hals legt, auszublenden, abzuwiegeln oder aber fatalistisch vor dem scheinbar Unausweichlichen zu kapitulieren.

Und in der Tat sieht es nicht gut aus. Der Global Risk Report des World Economic Forum analysiert regelmäßig die größten Bedrohungen, denen sich die Menschheit gegenübersieht. Im Bericht des Jahres 2019 waren auf den Plätzen eins bis drei (!) die als höchstrangig eingestuften globalen Risiken zu finden - alle von ihnen stehen im direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit den Folgen des Klimawandels.[i]

Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz postuliert auf seiner Website, dass der menschenverursachte Artenrückgang zwischen 100 und 1000-mal höher ist, als der in der Natur vorkommende.[ii] Höchst besorgniserregend ist auch der Nachweis eines Rückgangs der Insektenpopulationen, die, je nachdem auf welche Quelle man sich beruft, mit 40 bis 80 Prozent angegeben ist.[iii]

Die Erhöhung der Temperatur um mehr als ein Grad ist heute bereits Realität und es darf angezweifelt werden, dass Klimaschutzziele, die die Erderhitzung auf unter zwei Grad halten wollen, überhaupt umsetzbar sind. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung verweist in einem Bericht im August 2018 auf die National Academy of Sciences, wo davon ausgegangen wird, dass sich die Erde aufgrund von Dominoeffekten um bis zu fünf Grad erwärmen und der Meeresspiegel um bis zu zehn Meter ansteigen könnte, selbst wenn das Zwei-Grad-Ziel eingehalten würde.[iv]

Als Ursachen hierfür werden verschiedene Teile des Klimasystems benannt, welche kurz davor stehen, kritische Schwellenwerte und ihren Point-of-no-Return zu überschreiten. In diesem Zusammenhang spricht man unter Fachleuten von Kippelementen - Phänomenen, die das Potenzial besitzen, Kettenreaktionen mit nicht mehr beherrschbaren und nicht umkehrbaren Folgen auszulösen.

Ein Beispiel für ein Kippelement ist das Tauen der Permafrostböden der Nordhalbkugel. Allein im oberen Bereich des Bodens ist ungefähr doppelt so viel Kohlenstoff eingelagert, wie sich gegenwärtig in der gesamten Erdatmosphäre befindet. Darüber hinaus sind extreme Mengen des bis zu dreißigfach stärker treibhauswirksamen Gases Methan im Frost eingeschlossen. Schon der Permafrost birgt das Potenzial, die Klimaziele von maximal zwei Grad deutlich zu übertreffen.

Ein weiteres Phänomen ist der möglicherweise bevorstehende Zusammenbruch der großen Waldökosysteme, allem voran der tropische Regenwald, welcher als riesiger Kohlenstoffspeicher und -verwerter fungiert. Der Klimawandel setzt der seit 1950 in ihrer Größe halbierten grünen Lunge stark zu. Bei einem langfristigen Temperaturanstieg von zwei Grad verliert der Wald die Fähigkeit zur Wasserverdunstung und stirbt ab. In Folge kommt es zur Freisetzung von Kohlendioxid, welches wiederum die Atmosphäre aufheizt. Das Absterben des Amazonas hätte nach Hochrechnungen einen Anstieg der weltweiten Temperatur um 0,3 Grad zur Folge.

Auch das Abtauen der Gletscher und des Polareises wird als Kippelement betrachtet. Im Jahr 2018 entsprach das Eis in der Nordpolarregion der nun kleinsten je in der Arktis gemessen Eismasse. Da Eis Wärmestrahlung besser reflektiert als Wasser, werden sich in der Zukunft die Ozeane zunehmend schneller erwärmen. Das Schmelzen des Eises auf Grönland würde ein Ansteigen des Meeresspiegels um sechs Meter nach sich ziehen.

Unumkehrbare Folgen dieser und anderer Phänomene lassen sich schon heute beobachten. Die Grenzen des fein justierten Ökosystems Erde sind eng gesteckt. Das 25 Millionen Jahre alte Great Barrier Reef vor der Küste Australiens wurde 2018 medienträchtig für tot erklärt - zerstört innerhalb von weniger als 100 Jahren durch Übersäuerung der Meere aufgrund des erhöhten CO2 Gehalts des erwärmten Wassers, steigenden Wassertemperaturen und Umweltverschmutzung.

Andere Folgen werden eher über kurz als lang spürbar werden. Regionale und globale Wettersysteme geraten ab bestimmten Werten zunehmend aus dem Gleichgewicht. Der Monsun, von dem mehr als 500 Millionen Menschen direkt abhängen, wird bei einer Erderwärmung um zwei Grad instabil. Verschiedene Inseln sind durch den Meeresspiegelanstieg in jüngster Vergangenheit von der Landkarte verschwunden.

Trockenheit und Dürre, Stürme und Waldbrände mögen in Deutschland unangenehm sein, in Entwicklungs- und Schwellenländern zerstören sie bereits heute die Lebensbedingungen von Millionen von Menschen. Wasserverknappung, Ernteausfälle und Wüstenbildung werden in der Zukunft den Überlebenden keine andere Wahl lassen, als ihrer angestammten Heimat als Klimaflüchtlinge den Rücken zu kehren.

Für Europa existiert ein abweichendes Szenario. Aufgrund des Schmelzens der großen Eismassen und des daraus resultierenden niedrigen Salzgehalts verändert sich die Absinkgeschwindigkeit des Wassers des atlantischen Ozeans und der Golfstrom - die „große Umwälzpumpe“ - die für unser mildes europäisches Kontinentalklima verantwortlich ist, kommt zum Erliegen. Entgegen des weltweiten Trends wird eine Abkühlung des Kontinents mit eiszeitähnlichen Bedingungen prognostiziert.

Ein düsteres Bild zeichnet sich ab. Wird im Pariser Abkommen von 2015 auch formuliert, dass die Weltgemeinschaft Anstrengungen unternehmen wolle, um den Temperaturanstieg auf anderthalb Grad zu reduzieren, müsste in der Praxis innerhalb der kommenden 20 Jahre die gesamte Weltwirtschaft vollständig umgekrempelt werden, um dieses Ziel halten zu können. Realistisch betrachtet befindet sich die Welt auf einem kaum mehr abwendbaren Drei-Grad-Plus Kurs.


Survival und Prepping

Klassisches Survival zielt darauf ab, eine akute und meist kurzfristige Notsituation, welche beispielsweise infolge eines Unfalls in Wildnisgebieten oder auch im Rahmen eines Katastrophenszenarios entsteht, zu durchstehen. Im Grunde genommen soll unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten ein gegebener Zeitraum überbrückt werden, um danach den Alltag in einem gewohnten Umfeld wiederaufzunehmen.

Ein gänzlich anderes Ziel verfolgt der Drop-out Ansatz. Die Ausrichtung dieser Strömung geht in Richtung Anbindung an die Natur und die eigenen Wurzeln. Der Alltag im System ist nicht Ziel, sondern Kontrapunkt. Mittel dieses Ansatzes sind Minimalismus, Kenntnis der natürlichen Kreisläufe und archaische Lebensweisen, orientiert an den indigenen Naturvölkern oder einem Leben im Stile Thoreaus.

Gegenüber klassischem Survival und dem Drop-out verfolgt das Prepping den wohl einzig zielführenden Ansatz. Denn weder wird es in einem Ökokollaps einen lebenswürdigen Alltag geben, den man wieder wird aufnehmen können, noch ist eine aus dem Ruder laufende Natur der Ort, in die man sich zurückziehen möchte.

Ausgangspunkt des Prepping sind kurz- bis langfristige Worst-Case-Szenarien, für die Vorsorgestrategien entwickelt werden. Diese reichen vom Anlegen einfacher Vorratslager bis hin zum Rückzug auf vollautarke Anwesen. Die Übergänge sind fließend zwischen praktischen Fragen des Selbstschutzes und Militarisierung, zwischen vernünftigen Einschätzungen und neurotischer Abschottung von der Außenwelt.

Die erforderlichen Vorsorgemaßnahmen kann man mit Fug und Recht als Hardcore Prepping bezeichnen und sie werden mit erheblichem zeitlichen und vor allem finanziellen Aufwand einhergehen. Eine Umsetzung wird für die Masse nicht realistisch sein, sie wird in erster Linie extrem ambitionierten Experten und den Reichen und Privilegierten vorbehalten bleiben.

Die größte Krux liegt jedoch hier: Allen Ansätzen ist gemein, dass Einzelpersonen, die Familie oder kleinere Schicksalsgemeinschaften die Akteure des Geschehens sind. Übertragen auf das Szenario Ökologischer Kollaps entspricht dies aus der Vogelperspektive betrachtet, dem Überlebenskampf einer einzelnen Zelle in einem sterbenden Gesamtorganismus.

Ursachen des Szenarios werden von kleinen Gruppen nicht angerührt. Jede Auseinandersetzung mit der Situation mit den Mitteln des Survival wird genau nur dies sein: Survival - ein Kampf ums Überleben, der mit der Lebensweise, die wir heute gewohnt sind, nichts mehr zu tun haben wird. Langfristig wird er vielleicht dem Überlebenskampf von Bewohnern der Sahelzone im Kriegszustand gleichen aber mehr ist vermutlich nicht drin.

Je nach Strategie, persönlichem Kenntnis- und Erfahrungsstand, den finanziellen Mitteln und zur Verfügung stehenden Ressourcen wird dieser Kampf kürzer oder länger dauern - aber er bleibt auf einer rein symptomatischen Ebene. Ohne dass die eigentlichen Ursachen betrachtet und beseitigt werden, wird der individuelle Survivalansatz kein gutes Ende nehmen können. Kollektive Probleme können nur kollektiv gelöst werden.


Zwischenstand

Ich ziehe den Schluss, dass Survival und Prepping als Strategien bestenfalls auf einer oberflächlichen und kurz- bis mittelfristigen Ebene geeignet sind, um das eigene Überleben und das Überleben der Familie oder einer Schicksalsgemeinschaft zu sichern. Will man funktionierende Langzeitstrategien entwickeln, muss der Blick von der individuellen auf die kollektive Ebene verlagert werden.

Im Folgenden werden zu diesem Zweck drei Kernprobleme identifiziert, die unsere westliche, industrialisierte Kultur prägen und eine zentrale Rolle in der Dynamik der Umweltzerstörung spielen. Es sind dies das Kleiner-Mensch-Syndrom, das Versagen der politischen Führung und der Systemfehler unseres sich nahezu ausschließlich an ökonomischen Gesichtspunkten orientierenden globalen Gesellschaftssystems.


[i] The Global Risk Report 2019, 14th Edition. Seite 15 ff.
[ii] www.stmuv.bayern.de/service/faq/anzeige_x.php?id=396
[iii] www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/insekten-und-spinnen/20997.html
[iv] www.pnas.org/content/115/33/8252